2019
Acht Arme zum Jubeln
Al Stewart in Hayes, 03.10.2019
von René Klammer
Ein regnerischer Abend in Hayes, am Rande von London: Al Stewart ist wieder in der Stadt, ein halbes Jahrhundert nach seinem Debütalbum „Bedsitter Images“. Im „Beck Theatre“, idyllisch im Grünen gelegen, spielt er das zweite Konzert seiner „Hits & Misses“-Tour – mit elektrischer Begleitband! Als im ausverkauften Theatersaal der Vorhang aufgeht, sieht das gespannte Publikum: eine E-Gitarre, einen E-Bass, zwei Keyboards, ein Saxophon und eine Akustikgitarre. Dazu Nebelwerfer und eine Bühnenkulisse mit Sternenhimmel: Unplugged war gestern – heute geht’s rund!
Zunächst spielt eine knappe Stunde lang die Band „The Empty Pockets“, mit Marc Macisso als „special guest“, danach kommt endlich der Star des Abends – dessen Outfit weniger nach Rockstar aussieht, als nach Historikertagung. Aber genau das macht den Abend einzigartig – und illustriert aufs Eindrücklichste, warum manche Zuschauer quer über den Ozean fliegen, um diesen Mann zu sehen: Nicht nur bietet Al Stewart feinsten Songwriter-Pop, sondern er brilliert auch – souverän und bescheiden – als vielseitig gebildeter, spritziger Erzähler. Als Zuschauer findet er es unhöflich, bemerkt er zwischendurch, wenn Sänger überhaupt nicht mit dem Publikum sprechen. Darum plaudert er ausführlich über seine Songs, äußert sich aber auch zu Geschichte und Politik, gewürzt mit launigen Anekdoten aus seiner Zeit im London der Swinging Sixties – immer pointiert und konzentriert, dabei bestens gelaunt jeden Zuruf aus dem Publikum parierend. Und so manches Mal denkt man: Wieso hat eigentlich Dylan den Literaturnobelpreis gekriegt, und nicht Al Stewart?
Dank seiner neuen Begleitband „The Empty Pockets“ klingen selbst hundertfach gehörte Gassenhauer wie „Time Passages“ und „On the Border“ frisch und neu. Aber die Playlist wartet auch mit Überraschungen auf: „Warren Harding“ zum Beispiel, „Love Minus Zero“ – und als Zugabe sogar ein unveröffentlichter Song: „Eight arms to hold you“, mit dem Al Mitte der Sechziger den Beatles aushelfen wollte. Dann kam alles anderes: Al veröffentlichte als erste Single lieber „The Elf“ – und seine Beatles-Hommage landete in der Schublade. Wie schön, dass „Eight arms to hold you“ im Rahmen der 2019er-Tour nun endlich seine verspätete Uraufführung feiert! Dieser fetzige kleine Song klingt frisch wie am ersten Tag – genauso wie sein Urheber übrigens, der trotz seiner fast 75 Jahre keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt: Hellwach, topfit und bei erstklassiger Stimme zeigt er, ganz entspannt, warum aus ihm, dem einstigen Folk-Troubadour, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen ein Weltstar wurde.
Bühnen-Passagen eines Titans
von Dieter Weber
Am 3. Oktober war es endlich soweit, dass ich nach mehrjähriger "Abstinenz" wieder ein Konzert von Al Stewart besuchen konnte. Dieses fand statt in Hayes, ein Stadtteil im Westen Londons, namentlich im Beck Theatre.
Zuvor hatten wir bereits Soho einen Besuch abgestattet und waren mit der Metro an Stationen vorbeigefahren, die wir aus Al Stewarts frühen Liedern kennen, wie Earl's Court, Glocester, Swiss Cottage und Charing Cross, so dass wir schon etwas auf den Abend eingestimmt waren.
Die Eintrittskarte war ein Geschenk meines Freundes René, mit dem zusammen ich diese 3-tägige Englandreise unternahm. Aus Al's Facebook-Einträgen wussten wir, dass das Konzert schon lange ausverkauft war. Umso erstaunlicher, dass René es dabei geschafft hatte, die besten Plätze im Saal zu ergattern: 1. Reihe, genau in der Mitte. Pünktlich um 20 Uhr legte Al's Begleitband, die "Empty Pockets", mit ihrer Show los. Ein bis zwei Stücke waren durchaus hörbar, die meisten weniger, und wir waren nicht unglücklich, als nach ca. 40 Minuten die Vorstellung zu Ende war. Jetzt hieß es warten auf Al Stewart.
Um 21 Uhr betrat dann die komplette Combo die Bühne: Al Stewart, The Empty Pockets und Marc Macisso. Letzterer war mir noch in bester Erinnerung vom großartigen Konzert in der Royal Albert Hall einige Jahre zuvor. Er spielt je nach Bedarf Saxophon, Querflöte oder Mundharmonika, und das alles in beeindruckender Art und Weise. Und die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Opener war - für uns überraschend - "Sirens Of Titan", ein wunderschönes melodisches Stück aus dem Album "Modern Times".
Danach erzählte Al die Geschichte der beiden ersten Südpol-Expeditionen, worüber er das Lied "Antarctica" geschrieben hatte. Dazu nahm er sich noch die Freiheit, den Text mit Metaphern bezüglich einer eigenen Bekanntschaft („a very cold woman“) zu versehen, die die Geschichte dann teilweise doppeldeutig und somit noch interessanter macht. Dabei gab die Querflöte dem Stück im wahrsten Sinn des Wortes die Originalität. Es folgte "Time Passages" mit wirklich großartigen Saxophon-Einlagen. Spätestens da war klar, dass Al Stewart mit Band einfach ein ganz anderes Erlebnis ist als solo oder im Duett mit einem Gitarristen. Die Musiker der "Empty Pockets" sind auch allesamt Virtuosen auf ihren Instrumenten, was das Klangbild somit perfekt abrundete.
Danach kam "Flying Sorcery" aus Al's wohl bekanntestem Album "Year Of The Cat", woraus im Anschluss auch noch zahlreiche weitere Lieder folgen sollten. Wie Al sagte, nur oberflächlich ein Lied übers Fliegen, in Wahrheit aber eine Liebesgeschichte. Weiter ging es mit "On The Border", einem seiner bekanntesten und besten Stücke, das meiner Erinnerung nach noch nie bei einem Konzert gefehlt hat. Es folgte „Midas Shadow“, eine basslastige Nummer mit viel Mundharmonika.
Jetzt wurde es etwas politisch und Al ging auf die amerikanischen Präsidenten ein. Ob diese gut oder schlecht regierten, wisse man meistens erst im Nachhinein, der im folgenden Lied besungene „Warren Harding“ gehöre aber sicher zur letzteren Sorte. Ausnahmsweise ohne größere einleitende Worte folgte „Broadway Hotel“, bei dem wieder viele verschiedene Instrumente zum Einsatz kamen.
Das folgende Stück „Almost Lucy“ wurde im Gegensatz zum Original im Duett vorgetragen, zusammen mit der Sängerin der Empty Pockets. Dies war meines Erachtens eine großartige Aufwertung und tat dem Song sehr gut. Al kündigte nun ein spukiges Lied an, dass dann auch mit „One Stage Before“ folgte. Beim anschließenden „Year Of The Cat“ legten sich alle Musiker nochmal richtig ins Zeug und so war es kein Wunder, dass nach dem Abgang das Publikum mit Standing Ovations eine Zugabe forderte.
Als Al wieder die Bühne betrat, kündigte er ein Lied an, dass er vor über 50 Jahren komponiert hatte. Der Titel ist „8 Arms To Hold You“, und so sollte ursprünglich der Beatles-Film heißen, der dann unter dem Namen „Help!“ weltberühmt wurde. Al übernahm dann den frei gewordenen Titel in seine gleichnamige Eigenkomposition, die musikalisch stark an die Beatles erinnerte. Eine für uns überraschende und brilliante „Premiere“. Als letztes Stück des Abends folgte dann eine gelungene Version von Bob Dylans „Love Minus Zero/No Limit“.
René und ich waren begeistert von dem, was wir gehört und gesehen hatten. Nach dem Konzert legte ich mir noch die 4 Alben von Marc Macisso zu, die am Verkaufsstand als Paket reduziert angeboten wurden. Dankenswerterweise signierte Marc auch noch alle CDs. Wir erzählten an diesem Abend und dem folgenden Tag noch lange über das gelungene Konzert, das uns sicher auch zukünftig in guter Erinnerung bleiben wird.