TOURBERICHTE
London, England, 28. Februar 2001
28. Februar, 18 UhrLondon – eine Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt und Nieselregen. Mit der Subway über Waterloo Station in den Londoner Stadtteil Camden. Das „Jazz Café“ ist noch nicht geöffnet. Wir stehen im Regen und warten. Camden in the Rain ...
19:00 Uhr
Ein finsterer Herr in ebensolchem Trenchcoat öffnet die Tür. „Noch nicht reingehen, bleiben Sie draußen!“ Er dirigiert die Schlange, die sich gebildet hat, in genau die entgegengesetzte Richtung, was zu kleineren Turbulenzen führt, weist schlechtgelaunt darauf hin, dass es bei ihm KEINE Karten zu kaufen gibt und kündigt an, das Konzert beginne nicht vor 21:45 Uhr.
19:10
Einlass! Das „Jazz Café“ ist sehr klein, der Zuschauerraum geht über zwei Etagen. Unten sind Stehplätze, oben Tische und Stühle. Unser Tisch steht direkt vorn an der Balustrade.
19:20
Ich gehe runter an den Verkaufstisch – der Mann, der die T-Shirts und CD’s verkauft, ist Neville Judd. Wir schütteln uns die Hand, er erzählt, dass Al’s Biographie etwa im Oktober erscheinen wird. Für das Buch hat Neville Al’s Familie interviewt und sogar Mandi (aus „Love Chronicles“ und „Manuscript“) in New York aufgespürt.
19:45
Das Essen kommt: Broccoli und Bohnen (die zwar warm sind, aber roh schmecken) – trocken, ohne Sauce. Nun ja, wir sind ja nicht wegen des Essens hier.
20:30
Ein Mann mit Gitarre kommt auf die Bühne: das Vorprogramm. Er müht sich, aber das Publikum ist nicht wirklich interessiert. Nach sieben oder acht Songs geht er wieder ab, unter höflichem Applaus.
Das Jazz Café ist jetzt proppenvoll. Vor der Bühne stehen die Leute so dicht, dass man weder vor noch zurück kann. Draußen hat es angefangen zu schneien.
21:45 Uhr
Auftritt Al Stewart! Er hängt sich die Gitarre um, bedankt sich für den Applaus – und legt los. Die ersten Takte von “Flying Sorcery”. „With your photographs of Kitty Hawk and the bi-planes on your wall...“ Er spielt mit Elan, wirkt gutgelaunt.
21:50
„Irgend jemand hier, der 1968 schon gelebt hat?“ fragt Al. Viele fühlen sich angesprochen. „Okay, aber wer erinnert sich noch an 1968?“ Er kündigt einen Song aus dem Album „Love Chronicles“ an. „Den habe ich schon 1923 geschrieben, aber erst 1968 aufgenommen.“
Auf „In Brooklyn“ folgt „On the Border“. Weil Al das Arrangement verändert hat, erkennt das Publikum den Song erst, als nach dem langen Intro der Gesang einsetzt: „The fishing boats go out across the evening water...“
22:00
Und jetzt: „Clifton in the Rain“. „Ich habe das mit einem zweiten Lied kombiniert. In diesem zweiten Lied geht es um... naja, um Früchte.“ Gelächter. „Es ist nur fünfzehn Sekunden lang. Wer’s nicht mag, hat also nicht mal Zeit, zur Toilette zu gehen.“ Al spielt die Medley-Version, die auch auf „Rhymes in Rooms“ zu hören ist.
„Jimmy Page hat mich mal gefragt, ob ich Bass spielen könnte. Ich hab geantwortet: Bass? Nein. Ich wusste ja nicht, dass er mich für Led Zep haben wollte!“ Er zieht ein gequältes Gesicht. „Ja, ihr lacht darüber! Manchmal wache ich nachts auf und denke: Phew! Mein Leben wäre anders geworden. Ich hätte die Stelle von John Paul Jones eingenommen. Dann wäre ich jetzt tot, aber es wäre eine Menge Spaß gewesen!“
22:05
Al kündigt an, nun ein paar neue Songs zu spielen. Zuerst „House of Clocks“. Hier geht es um eine Uhr, die Al vor Jahren gekauft hat, die jetzt bei seinem Großvater steht. (Oder die seinem Großvater gehörte? Al spricht die Einleitung mit schottischem Akzent, was den Engländern im Raum einen Riesenspaß macht, aber die Nicht-Muttersprachler kapitulieren lässt.) Jedenfalls nimmt er sich dauernd vor, „das verdammte Ding endlich nach Hause zu bringen“. Das Problem: Sobald man die Uhr bewegt, bleiben die Zeiger stehen.
22:10
„Es gibt bestimmte Lieder“, bemerkt Al, „die Musiker nur äußerst ungern spielen. Nämlich die meisten Lieder...“ Der Konflikt: Was das Publikum hören will, langweilt den Sänger. Aber die Sachen, die der Sänger gerne spielen würde, ergeben für das Publikum überhaupt keinen Sinn. „Viele Musiker müssen auf Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern spielen, und da gibt es immer jemanden, der sentimentaler Stimmung ist und „Feelings“ hören will. Meistens um zwei Uhr morgens. Das Lied wird dann zähneknirschend gespielt. Aber der Musiker wird euch nicht mögen, wenn ihr ihn bittet, „Feelings“ zu spielen...“
Ist das eine Einleitung für Al’s eigenen Evergreen „Year of the Cat“? Nein, es folgt „The Night That The Band Got The Wine“ – „eins meiner langen Lieder. Das ist jetzt also ein guter Zeitpunkt, um zur Toilette zu gehen.“
Hinterher weist Al darauf hin – für die Zuschauer, die „Down in the Cellar“ noch nicht kennen – dass alle seinen neuen Songs etwas gemeinsam haben: „Das Label Miramar hat mich gebeten, eine CD zum Thema Wein zu schreiben. Aber sie hatten wohl andere Vorstellungen als ich.“ Welche, demonstriert Al mit ein paar Zeilen einer typischen Bierzelthymne. „Das wäre vielleicht ein Hit geworden“, bemerkt er. „Aber statt dessen habe ich ihnen diesen Song mit 700 Wörtern abgeliefert. Das Label ist jetzt bankrott!“
22:20
Auftritt Doug Mann – der Bassist begleitet Al bei „Almost Lucy“. Den Refrain singen beide im Duett.
Und dann der erste „historical song“ des Abends: „Last Day of June 1934“. „Es wird immer unwahrscheinlicher, dass einer meiner Songs mal bei Top of the Pops landet“, bemerkt Al. In der Live-Version klingt „Last Day of June 1934“ viel frischer und melodischer als in der Studioversion.
Nachher erklärt Al kurz, was es mit dem Datum im Songtitel auf sich hat und wer Ernst Röhm gewesen ist – dann geht es weiter mit einem herrlich ausufernden Instrumental-Intro, das erst spät in „Night Train to Munich“ übergeht.
Zwischen die Strophen zwei und drei schieben die beiden erneut ein ausgelassenes Instrumental-Intermezzo. Al scheint viel Spaß dabei zu haben, wandert in die entferntesten Ecken der Bühne und ist jede Sekunde in Bewegung. Er verpasst sogar seinen Einsatz für die dritte Strophe, weil er in Doug Mann’s Bass-Spiel versunken war: „Das reißt einen so mit, dass man aufhört zu denken“, entschuldigt er sich. Nach dem Song bemerkt er: „Das war unsere Portion Jazz für heute Abend – weil wir ja im Jazz Café sind.“
22:30
Zeit für „Requests“. Jemand bittet scherzhaft um „Tie a yellow ribbon round the old tree“, von dem die beiden dann sogar die ersten Takte spielen! Hinter uns ruft eine Gruppe ziemlich lautstark nach „Night of the Fourth of May“. Aus einer anderen Richtung: „Könntest du Carol spielen, Al?“ Al erwidert: „Könnte ich. Tu ich aber nicht.“ Ein einzelner Ruf nach „Year of the Cat“ ertönt. „Die Hälfte von euch ist ja nur gekommen, um diesen einen Song zu hören“, meint Al. Und überlegt: „Ich könnte das jetzt schon spielen, dann hätte ich‘s aus dem Weg. Und die Leute, die nur hier sind, um Year of The Cat zu hören, könnten dann nach Hause gehen – für die übrigen von euch spiele ich noch ein bisschen länger. Ja, das mache ich.“ Statt dessen folgen dann die ersten Takte von „Heard it Through The Grapevine“, das aber schnell in das vertraute „Year of the Cat“-Intro übergeht.
Noch ein Request. Al liest diesen Wunsch von einem Blatt Papier ab, das Neville vor der Show auf die Bühne gelegt hat. „Hier steht, dass ich „Broadway Hotel“ für Ilkay spielen soll. Wo sitzt Ilkay?“ Jemand ruft: „Sie ist nicht hier. Ich bin ihr Verlobter. Sie kommt aus der Türkei und konnte kein Visum bekommen.“ Al drückt sein Bedauern aus. „Ich spiele das Lied trotzdem für sie. Richtest du ihr das aus?“ Ilkays Verlobter ruft, dass er das machen wird und erwähnt noch: „Du bist in der Türkei sehr populär, Al.“ Al guckt skeptisch: „Ich höre oft von Leuten, dass ich in den obskursten Ländern berühmt bin. Aber das sind immer Länder, in denen ich noch nie gewesen bin. Da steckt eine Moral hinter: Ich sollte zu Hause bleiben.“
22:40
„Den nächsten Song habe ich so geschrieben, wie The Incredible String Band das gemacht hätte – nur, dass mein Song die dreifache Geschwindigkeit hat. Aber so Zeilen wie „a peak of pixillation“ – ich kann mir gut vorstellen, dass Mike Heron sowas schreiben würde.“ (Quizfrage: In welchem Al-Song kommt diese Formulierung vor?)
22:45
Der letzte Request kommt von Neville: er wünscht sich „London’s Brilliant Parade“ von Elvis Costello. Direkt im Anschluss: „Roads to Moscow“.
23:00
Unter großem Applaus geht Al von der Bühne ab. Es ist mittlerweile sehr warm geworden, die Luft ist rauchig. Begeistertes Klatschen und Rufen. Al lässt sich nicht lange bitten und tritt noch einmal auf – in der Hand eine Serviette, die ihm jemand auf dem Weg zur Bühne gegeben hat. „Hier steht drauf, dass jemand aus dem Publikum heute Geburtstag hat.“ Hinter unserem Tisch lautes Gejohle. Al: „Wir könnten jetzt Happy Birthday singen…“ Applaus. Doug Mann fängt an, etwas zu spielen, das kaum Ähnlichkeit mit einem Geburtstagsständchen hat. „Die Jazz-Version von Happy Birthday“, erklärt er, auf Al’s fragenden Blick hin. „Sing du’s“, erwidert Al, „ich erkenne das gar nicht, was du da spielst.“ Doug Mann legt los und Al sieht amüsiert zu.
Jemand ruft nach „The Elf“ – Al’s allererste Single. „Später“, erwidert Al. Und dann kommt erstmal „Waiting for Margaux“. Dabei reißt leider eine Gitarrensaite, und so wird nichts mehr aus The Elf. (Nnnngghhh!) Statt dessen verabschiedet sich Al mit „My Enemies Have Sweet Voices“ – dafür braucht er nämlich nur die Basssaite seiner Gitarre.
Mainz, Deutschland, 11. Oktober 2001
Mick Jagger treffen, eine Serviererin verführen, mit 150 km/h über die Gehwege von Amsterdam brettern... wenn all dies am selben Abend passiert, kann das nur heißen: Al Stewart hat ein Gastspiel gegeben. Lang ist’s her, dass der Folkrocker nach Deutschland kam, jetzt gab er sich „unplugged solo“ die Ehre in der Mainzer Altstadt. Die Veranstalter dachten wohl: Werbung ist nicht nötig, so ein Event spricht sich rum. Und tatsächlich hatten rund 250 Fans aus ganz Deutschland auch ohne Anzeigen oder Plakate den Weg zum Frankfurter Hof gefunden.Gegen neun geht’s los: Al eröffnet den Abend mit dem Traditions-Opener „Flying Sorcery“. Amy Johnson landet zu gewaltigem Applaus, was Al sichtlich bewegt: „Ich bin zwar zum ersten Mal in Mainz“, witzelt er, „aber nach diesem tollen Empfang könnte ich mir glatt überlegen, hierher zu ziehen...“
Danach wird es frostig, Al nimmt uns mit in die „Antarctica“, eingeleitet nur durch den Kommentar, dies sei ein „Heavy-Metal Song, gespielt auf der akustischen Gitarre“. Mit den gesprochenen Überleitungen hält Al sich vorerst noch zurück, wohl aus Unsicherheit darüber, wie viel Englisch er dem Publikum zumuten kann.
So kommt das erste Highlight des Abends überraschend: Übergangslos gibt Al „Rumours of War“ zum Besten, zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren! „Ich hatte völlig vergessen, dass ich dieses Lied überhaupt geschrieben habe – bis zu den Ereignissen vom 11. September. Und plötzlich ist dieser Song wieder aktuell…“
„Jetzt spiele ich ein Lied, in dem es darum geht, in einem Mainzer Restaurant verführt zu werden.“ Gelächter aus dem Publikum. „Stellt euch vor, ihr sitzt an eurem Tisch, die Serviererin nimmt gerade die Bestellung auf, ihr bemerkt den wunderbaren Kristallüster an der Decke des Lokals, ihr seid ganz fasziniert von den funkelnden Kristallen – und plötzlich kommt das Ding runter und kracht auf die Kellnerin. Ihr seid geschockt. Ihr helft der Frau, unter den Trümmern hervorzukriechen, ihr fragt besorgt: ‘Sind Sie in Ordnung?’ Und natürlich ist die Frau NICHT in Ordnung, sie ist gerade von einem Kronleuchter niedergeschlagen worden! Sie muss sich am Kopf verletzt haben, denn sie antwortet nur: ‘Ich liebe dich.’ Das hängt natürlich mit der Kopfverletzung zusammen, aber ihr durchschaut das nicht, ihr seid geschmeichelt und geht darauf ein, ihr verbringt den Rest des Abends mit ihr. Und irgendwann bemerkt ihr, dass sie zu allem ‘Ich liebe dich’ sagt – zum Straßenpflaster, zu vorbeifahrenden Bussen, zu allem...“. Das Publikum ist begeistert von diesem Nonsens – schließlich gibt Al zu, dass das überhaupt nichts mit dem nächsten Song zu tun hat. „Wenn euch mein Geplapper nervt, sagt Bescheid – dann beschränke ich mich auf’s Singen.“ Das Publikum lacht und applaudiert. „Gut, jetzt aber zum nächsten Song. Es geht darin um eine Serviererin in einem Mainzer Restaurant...“ Al’s Worte werden vom Gelächter übertönt und er beginnt mit „Broadway Hotel“.
Nach den Standard-Nummern „Clifton in the rain“ und „Nostradamus“ hat Al eine weitere Überraschung in petto: „The Elf“! Von dieser allerersten Single verkauften sich anno 1966 nur 496 Kopien – heute kann Al darüber lachen, denn die Restexemplare lagern in seiner
Garage („die sind jetzt sehr wertvoll“). Damals allerdings schien die Karriere des gerade 21-jährigen Rockstars frühzeitig beendet: Das Label feuerte ihn und mit dem Leben als umschwärmter Chart-Stürmer war’s erst einmal Essig. Glücklicherweise bot das Londoner Soho jener Tage genug Inspiration für eine musikalische Umorientierung – und so lernte Al, wie Bert Jansch Gitarre zu spielen („damals musste jeder Londoner Folk-Sänger lernen, so zu spielen“) und wurde ein moderner Folk-Troubadour.
Al gibt nun „Soho“ zum Besten, um uns Janschs speziellen Gitarren-Stil zu demonstrieren. Und weil es bei Al Stewart-Konzerten öfter mal „zwei Sohos zum Preis von einem“ gibt, spielt er anschließend noch sein eigenes „Soho“, den Schnellsprech-Klassiker vom „Past, Present & Future“-Album.
Jemand aus dem Publikum ruft an dieser Stelle nach „Amsterdam“. Al erwidert, er habe tatsächlich dran gedacht, das zu spielen, denn Fred, der „crazy driver“, sei heute Abend im Publikum! („Fred was a crazy driver, he took us at a hundred miles an hour, down the side streets and out of traffic jam...“) Jemand auf der Balustrade steht auf und winkt: Es ist Fred, der echte, die vermeintlich fiktive Figur aus Al’s Lied über „Amsterdam“! Während das Publikum Fred zujohlt, versucht Al, sich Text und Musik zu dieser dreißig Jahre alten Komposition ins Gedächtnis zu rufen. Schließlich singt er die erste Strophe, muss dann aber abbrechen: „Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern. Hat jemand von euch zufällig den Text dabei? Wenn mir jemand den Text hochhalten kann, dann mach ich’s!“ Leider, leider wird nichts draus…
Statt dessen spielt Al „Marion the Chatelaine“, muss aber auch diesmal nach der ersten Strophe abbrechen: „Wisst ihr was? Diesen Text hab ich auch vergessen. Oh, ist das furchtbar!“ Er erklärt, dass er jeden Abend ein paar Lieder spielt, die er nicht geübt hat – als Herausforderung, damit die Performance nicht zur Routine wird. Manchmal klappt’s, und manchmal geht er unter...
Und da klingelt ein Handy – ja, wirklich, es GIBT noch Menschen, die sich in ein Konzert setzen und allen Ernstes vergessen, das Ding auszuschalten. Al reagiert prompt: „Das ist bestimmt meine Plattenfirma: Die lassen ausrichten, dass ich zur Abwechslung mal was spielen soll, was ich auch kenne!“
Und so spielt er, unvermeidbar, ein Lied, das er so gut kennt wie kein zweites: „Year of the Cat.“ Und das war’s. Fast. Kurz darauf kommt die erste Zugabe: „Waiting for Margaux“ – mit einem Intro über Mick Jagger. „Ich bin mal in einem Programm mit den Rolling Stones aufgetreten. Das war Anfang der Sechziger, ich und meine Band-Kollegen hatten ungeheuer aufwändige Bühnenkostüme an, und die Stones betraten in Straßenklamotten den Umkleideraum, sie waren gleich dran, und ich fragte Mick Jagger: ‘Wollt ihr nicht eure Bühnenkostüme anziehen? Ihr seid gleich dran!’ Und Mick Jagger guckte nur böse und grummelte: ‘Das SIND unsere Bühnenkostüme...’ Das ist eine wahre Geschichte – im Gegensatz zu den meisten anderen Sachen, die ich euch heute Abend erzählt habe.“
Auftritt Teddy Thompson (der auch das Vorprogramm bestritten hat), und zum Abschluss des Abends gibt’s nun ein Duett von „Runaway“. Teddy singt, Al begleitet ihn auf der Gitarre. Die Zuschauer bedanken sich mit tosendem Applaus, Al und Teddy verneigen und verabschieden sich, das Licht geht an. Aber das Klatschen hört nicht auf. Das Publikum macht keine Anstalten, den Saal zu räumen.
Man ist hartnäckig und klatscht sich die Hände wund. Einige Minuten vergehen – und das Unerwartete passiert: Das Licht geht wieder aus und Al kehrt für eine weitere Zugabe zurück. „Ihr sucht euch einen Abend aus, an dem ich so viele Fehler mache – aber euch gefällt’s. Das verstehe ich nicht.“ Natürlich kann es nur ein Lied geben, das die Stimmung im Saal jetzt trifft: „Genie on a table top“.
Mit den Klängen von „The Candidate“ geht das einzige deutsche Al Stewart-Konzert in diesem Jahr dann endgültig zu Ende.
Eindhoven, Holland, 14.Oktober 2002
Fan-Treffen in Eindhoven
So muss es in den „Swinging Sixties“ zugegangen sein: Vor dem Auftritt sitzt der Musiker bei den Gästen, fragt „Was wollt ihr heute hören?“, spielt sich dann auf der Bühne durch einen entspannten, improvisationsreichen Abend, und ist nach dem Auftritt offen für alle Fragen und Wünsche, die treue Fans nunmal so haben. Jahrzehnte sind seitdem vergangen, aber Al schlägt mühelos den Bogen: Der Folk-Sänger ist, über einen kurzen Umweg als weltberühmter Popstar, zu seinen Wurzeln zurück gekehrt. Und da fühlt er sich pudelwohl.
Rund ein Dutzend Fans lernten den „folk rock troubadour“ am 14. Oktober 2002 persönlich kennen. Regina Sluijter vom holländischen Al Stewart-Fanclub hatte die Idee. Vor Al’s Konzert in Eindhoven lud sie zum Abendessen, fragte frühzeitig bei Al’s Management an, ob er sich auf ein Glas Wein dazusetzen wolle – und Al nahm die Einladung an. Der Startschuss für einen unvergesslichen Abend...
Vor dem Konzert
Knapp eine Stunde vor seinem Auftritt schlendert Al in das Lokal, wo wir deutschen und holländischen Fans zum Essen versammelt sind. Er wolle nur „hello“ sagen, erklärt er, er müsse noch zum Soundcheck. „What would you like to hear tonight?“ will er wissen. Gegenfrage: „What would you like to play?“ Al zieht eine Grimasse, erwidert: „Jailhouse Rock!“ Im Lokal steht ein Klavier und jemand regt an, sofort loszulegen. Natürlich wird Al nicht darauf eingehen. Oder etwa doch? Als die ersten Takte von Year of the Cat ertönen, heben sich alle Blicke im Raum: Der Mann am Klavier – das ist doch nicht etwa... Ehe vor Schreck die ersten Gabeln fallen, bricht Al lachend ab. Er ist ja Gitarrist, kein Pianist. Rasch verabschiedet Al sich wieder – nach dem Konzert ist Zeit zum Plaudern, verspricht er.
Dem Publikum im Muziekcentrum Frits Philips steht ein bunter Abend bevor: Weil ihm Regina Sluijter vorhin beim Essen einen Kurt Vonnegut-Roman gezeigt hat (Al: „But that’s in Dutch!“ – Regina: „Of course it’s in Dutch – we’re in Holland“), gräbt er Sirens of Titan wieder aus, jene selten live gespielte Vonnegut-Hommage vom „Modern Times“-Album. Neben Standards wie On the Border (damit auch all die Leute auf ihre Kosten kommen, die nur im Saal sitzen, weil’s draußen regnet) gibt es viel Erlesenes für die Fans: Life in dark water steht auf der Liste, Rumours of War, Antarctica und Running Man. Es geht überwiegend rockig zu, doch der Folk-Rocker zeigt auch seine stille Seite, am wirkungsvollsten bei Oh Samuel, how you’ve changed.
Im zweiten Teil des Programms kündigt Al einen Song an, nach dessen endgültiger Form er bereits seit zwanzig Jahren sucht: „Mal sehen, ob ich sie heute Abend finde“, witzelt er, und präsentiert Time Passages in einer überraschenden Reinkarnation. Später bittet er um „requests“. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und so hören wir – auf lauten Wunsch aus den vorderen Reihen – Timeless Skies.
Eine schöne Tradition auf Al’s Tourneen ist die Darbietung mindestens eines Songs aus einem fremden Repertoire. Sind heute Abend „They might be giants“ an der Reihe? Leider nicht. Die Gruppe schreibe zwar seit zwanzig Jahren die besten Pop-Texte der Branche, so Al (nachdem er uns mit der ersten Strophe von Ana Ng Appetit gemacht hat), „but nobody gives them any credit for it“. Verkannte Genies zu fördern ist ihm auf Dauer zu deprimierend, darum spielt Al einen Song von Pink Floyd. Den hat er vor ein paar Tagen im Radio gehört, nun will er sehen, ob er noch alle Strophen zusammenbekommt. (Natürlich bekommt er sie zusammen.)
Und damit klingt der Abend aus. Nicht vor dem unvermeidlichen Year of the Cat, natürlich. Darauf folgen die Zugaben Laughing into 1939 (ein weiterer Zuruf aus dem Publikum) und The Candidate – ein Song, den keiner mag, beklagt sich Al. Außer ihm. Die stehenden Ovationen des begeisterten Publikums sprechen freilich eine andere Sprache.
...und nach dem Konzert
Der unvergesslichste Teil des Abends kommt, als der Vorhang schon gefallen ist: Al mischt sich unters Volk. Nachdem alle Signierwünsche erfüllt sind, hält Jur Wijsman eine Rede, die sich komplett aus Al-Zitaten zusammen setzt. Al, zuerst ein wenig verwirrt, hat seinen Spaß. Kopfschüttelnd bemerkt er: „I wrote all this nonsense!“ Gutgelaunt macht er allen Blödsinn mit, beantwortet Fragen, lässt sich dutzendweise fotografieren. Er löst das Rätsel um die Schreibweise seines Vornamens auf und spricht in Markus Hahners Diktiergerät ein Grußwort für www.alstewart.de. Auf Wiedersehen in Deutschland, Al!
Mechernich, Deutschland, 21. November 2006
Dave Nachmanoff eröffnet um viertel nach acht mit fünf Songs, darunter "Square Peg In A Round Hole" und "Lucky", letzteres von seiner neuen CD. Zuletzt dann "The Loyalist", danach Auftritt Al.
- House Of Clocks
- Flying Sorcery
Al begrüßt das Publikum mit den Worten "Where am I?", was auf den kurzfristigen Standortwechsel anspielt. Er wirkt ein bisschen angespannt, erklärt, der "sound on stage" sei fürchterlich und gibt den Herren am Mischpult entsprechende Instruktionen, was aber leider nicht viel bringt.
- Palace Of Versailles
Eine großartige Darbietung! Leider sind die Soundprobleme noch immer nicht gelöst: Schon bei der Ansage gibt es fiese Rückkopplungen. Als sie endlich abklingen, stichelt Al in Richtung des Soundboards: "Have you finally found the button?"
- On The Border
Obwohl ich davon schon etliche Live-Versionen gehört habe, ist dies eine der energischsten, kraftvollsten seit langem. Wie dieses bestimmt tausendmal gespielte Lied zu neuem Leben erwacht – wirklich erstaunlich! Die Leute am Mischpult vermurksen es jetzt leider vollkommen, der Gesang ist durchweg von Rückkopplungen begleitet. Ich rechne schon damit, dass Al abbrechen muss, aber er hält durch - wie er unter solchen Umständen eine derart gute Performance hinlegt, beweist seine Klasse.
Allerdings gibt er sich in der ersten Hälfte des Sets insgesamt ungewöhnlich wortkarg und ist offensichtlich alles andere als glücklich mit dem Sound. "We'll have a conference with the people from the soundboard during the break."
- Night Train To Munich
Dann das erste Al-typische Intro des Abends: Den folgenden Song habe er in einer früheren Inkarnation als keltischer Barde geschrieben...
- Merlin's Time
Al erklärt, das nächste Lied sei mal ein Hit gewesen. Er habe es nie gemocht, aber kürzlich sei es bei den "Sopranos" benutzt worden, und dadurch habe er sich damit angefreundet. Zudem hätten ihm die Leute von der Mafia einen dicken Scheck überwiesen, damit er es spielt. Das bringt ihn auf die Idee, mit einer Karriere als Rapper zu liebäugeln – und zur allgemeinen Erheiterung überlegt er nun laut, welche Künstlernamen wohl in Frage kämen...
- Time Passages
Danach Pause. Tatsächlich bekommt man die technischen Probleme in der Pause in den Griff – in der zweiten Hälfte wirkt Al erheblich entspannter und ist wesentlich gesprächiger.
- Gina In The King’s Road
Al erklärt, dass er jetzt richtig glücklich sei (weil endlich der Sound in Ordnung gebracht wurde!) und deswegen werde er nun den deprimierendsten Song spielen, den er kennt.
- The Dark And Rolling Sea
Danach ein kleines improvisiertes Lied über Mechernich!
- Broadway Hotel
Al erklärt, es folge nun ein Song über Geld. Das bringt ihn auf "money, money, money" und Al bedauert, kein Mitglied der Gruppe "Abba" gewesen zu sein. "But the only Swedish word I know is the one for Donald Duck." Schlussfolgerung: Mit Al in der Gruppe hätte Abba nur Konzeptalben über Enten machen können. Al und Dave überlegen gemeinsam, welche historisch bedeutsamen Enten es in der Weltgeschichte so gibt...
- Midas Shadow
- Running Man
Al erklärt, "Running Man" habe er nur auf Daves ausdrücklichen Wunsch gespielt, denn er habe ihm schon seit Tagen damit in den Ohren gelegen.
- Rain Barrel
Al bemerkt, er schreibe eigentlich gar keine historischen Lieder, sondern geographische Lieder. "But History is geography in motion." Keine Reaktion vom Publikum. Als Kommentar zu Dave: "That hit them right over the head."
- Princess Olivia
- Year Of The Cat
Dann Abgang, tosender Applaus, und schließlich die Zugabe:
- Sweet Home Alabama (!)
Gewaltiger Applaus! Al mosert, da habe er den ganzen Abend feinsinnige poetische Lieder dargeboten, aber erst jetzt wacht das Publikum auf! Gespielt beleidigt ergänzt er: "I've learned a lot about Mechernich tonight…"